Die humanitäre Situation im Gazastreifen sei “nicht akzeptabel”, sagt der Bundeskanzler. Beim Thema Meinl-Reisinger Israel letter gebe es innerhalb der Regierung keine Unstimmigkeiten.

Wien – Der Sommerministerrat ist ein Termin, um Botschaften auszusenden. Üblicherweise treffen sich die Regierungsmitglieder im Juli außerhalb der Hauptstadt, um zu signalisieren: Wir arbeiten auch, wenn es warm ist. Im ersten Sommer der schwarz-rot-pinken Koalition bleiben die Ministerinnen und Minister im Bundeskanzleramt. So zeigen sie: Wir sparen auch bei uns selbst. Nach dem Geraune der vergangenen Tage über einen angeblichen Alleingang der Außenministerin in der Nahostpolitik sowie den Meinl-Reisinger Israel letter versichert die Regierungsspitze am Mittwoch: Wir sind uns einig.
“Auch wenn ich viel Verständnis habe, dass der Haarriss in dieser Koalition gesucht wird: Es gibt keinen Haarriss”, sagte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) vor der Regierungssitzung. Hintergrund: Neos-Chefin und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger hatte Anfang der Woche gemeinsam mit Amtskolleginnen und Amtskollegen einen Brief unterzeichnet, der Israel zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts in Gaza auffordert.
Anders als von manchen Medien berichtet habe das aber nicht für Verstimmung gesorgt, versicherte Stocker: “Dieser Brief wiederholt die Position Österreichs und ist daher auch keine Änderung dieser Position.” Meinl-Reisingers Vorgehen sei abgestimmt gewesen. “Die Unstimmigkeiten, die hier jetzt hineininterpretiert werden, gibt es tatsächlich nicht.”
“Gute Abstimmung”
Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) erklärte in Vertretung der verreisten Außenministerin: “Eine gute Abstimmung in der Regierung ist uns von großer Bedeutung.” Es sei gemeinsame Linie, “dass wir selbstverständlich Freunde Israels sind, aber gleichzeitig unser Bemühen einem Frieden in der Region gilt”. Beides sei gleichzeitig möglich.
Deutschland agiert in solchen Fragen normalerweise ähnlich wie Österreich, hat das Dokument unter Verweis auf die historische Verantwortung gegenüber Israel aber nicht unterschrieben. Der Kanzlerpartei CDU fehlt auch die Verurteilung der Hamas als Terrororganisation im Text. Die Israelitische Kultusgemeinde und Ex-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) kritisierten den Brief.
Hamas-Unterstützung ein Missverständnis
Wer – wie etwa Sobotka – die Aufforderung zur Einhaltung des Völkerrechts als Unterstützung der Terrororganisation Hamas verstehe, missverstehe den Brief, sagt Stocker. Die humanitäre Situation im Gazastreifen sei “nicht akzeptabel”. Nach Konsequenzen für Israel gefragt, sagte der Kanzler jedoch: “Wir setzen auch hier auf Dialog und Gespräch und nicht auf Sanktionen.”
Auch Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) bekräftigt die Notwendigkeit, “eine klare Sprache zu finden”. Er hatte Meinl-Reisingers Vorgehen schon am Dienstag die Unterstützung ausgesprochen. Angesichts der mangelhaften humanitären Hilfe in Gaza wolle er “sehr kritisch die Rolle Israels hier begutachten”. Würden die Appelle ungehört verbleiben, müsse man aber auch über “Konsequenzen” diskutieren, sagt Babler. Dabei wolle er aber der Außenministerin nicht vorgreifen. Es gilt ja, eine Regierungslinie zu wahren.
“Der Bundeskanzler hat’s gesagt”

Auf Nachfrage drückten auch die drei mit der Verkündung von Entbürokratisierungsmaßnahmen betrauten Koalitionäre ihre Überzeugung von der stimmigen Regierungsarbeit aus. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP): “Ich sehe da keinen Dissens.” Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ): “Das kann ich bestätigen.” Staatssekretär Josef Schellhorn (Neos): “Der Bundeskanzler hat’s gesagt.”
Beim informellen Austausch nach dem Ministerrat beteuern Eingeweihte, dass die große Einigkeit der Regierung nicht nur Show sei. Klar koalierten hier drei unterschiedliche Parteien, die zumindest intern auch hart diskutieren können, aber dennoch geeint auftreten.
Ob das weiterhin so bleibt, wird die Öffentlichkeit bald jedoch bei einer völlig anderen Frage sehen: nämlich bei der angekündigten Reform der Abgabenpflicht für Trinkgelder. Danach gefragt, versprach Babler: “Sie können sich sicher sein: Wir werden eine gemeinsame Lösung auch hier bringen.” Zusatz des Kanzlers: “Sehr zeitnah!” Und Babler stimmte zu.