
TAUSENDE MENSCHEN ZIEHEN derzeit aus den Krisenregionen dieser Welt über Österreich nach Deutschland. Diese Flüchtlings- und Migrationswelle bedeutet eine der größten Herausforderungen der Europäischen Union. Weil die Massen nicht immer und überall nur mit offenen Armen aufgenommen werden und nicht wenige hierzulande in der Menschenflut aus fernen Kulturen auch ein Problem sehen, hörte man in den vergangenen Wochen oft den Hinweis darauf, wie großherzig und selbstlos die Österreicher doch bei früheren Fluchtwellen gehandelt hätten.
Neben der großen Flucht nach dem Ungarn-Aufstand 1956 und während der Balkankriege in den 1990er Jahren wird immer wieder auch auf die Nachkriegszeit verwiesen. Damals hätten die Österreicher selber nichts gehabt, aber trotzdem die vielen Volksdeutschen viel weniger problematisch integriert, als dies heute im viertreichsten Land Europas der Fall ist.
WER VON DER GESCHICHTE keine Ahnung hat, den wird der Vergleich beeindrucken und beschämen. Das Problem: Der Vergleich hinkt nicht nur ein bißchen, er ist in jeder Hinsicht unzulässig.
Zum einen handelte es sich damals um Menschen, die ihre Heimat gar nicht hatten verlassen wollen, sondern unfreiwillig verlassen hatten müssen. Diese Vertriebenen hatten nicht die Wahl, ob sie selbst unter widrigsten Umständen in ihrer Heimat bleiben oder lieber woanders ein besseres Leben suchen sollten. Es waren also keine Flüchtlinge im eigentlichen Sinne, die ihre Heimat letztlich doch aus eigenem Antrieb verlassen haben.
UND DANN ZUR Aufnahmebereitschaft der Österreicher: Da haben offenbar die vielen Sonntagsreden, in denen der wunderbare Beitrag der Volksdeutschen zum Wiederaufbau Österreichs gewürdigt wird, zu der romantisierenden Vorstellung beigetragen, daß das alles damals wunderbar menschlich abgelaufen ist und alle zufrieden waren.
Der Vergleich mit heute trifft nur insofern zu, als es auch 1945 / 1946 Sonderzüge nach Deutschland gab. Diese verfrachteten die in Österreich gestrandeten Volksdeutschen nach Deutschland. Viele solcher Züge hat es gegeben. „Österreich wollte nichts mit der Mehrheit der vertriebenen Sudetendeutschen zu tun haben, die Mehrzahl der Vertriebenen wurde 1946 von Österreich nach Deutschland weitergeleitet", sagte etwa der Historiker Niklas Perzi vom Institut für Migrationsforschung in Sankt Pölten im März bei einem Symposium der Sudetendeutschen Jugend Österreichs.
DIE HEIMATVERTRIEBENEN waren Staatenlose, nur die wenigsten hatten die österreichische Staatsbürgerschaft. Denjenigen, die man unbedingt als Fachkräfte und Spezialisten im Land behalten wollte, gab man durchaus die Staatsbürgerschaft. Der größere Teil aber mußte in Lagern hausen, ohne daß sie auf Hilfe von sogenannten Nichtregierungsorganisationen hoffen konnten.
Noch im Februar 1956 mußte die „Sudetenpost" auf Seite 1 von Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über diese Lager schreiben: „Man rechnet damit, daß es noch zehn Jahre dauern wird, bis man die Barackenlager völlig entbehren kann." 20.894 Sudetendeutsche lebten 1955 allein in Oberösterreich noch in solchen Lagern.
DASS ES TROTZDEM heute viele Erfolgsgeschichten über in Österreich verbliebene Sudetendeutsche zu erzählen gibt, hat nicht zuletzt mit deren Fleiß und Anpassungsfähigkeit zu tun. Es gab keine langen Diskussionen um das Ausmaß der erforderlichen Integration. schon gar nicht einen dafür zuständigen Minister. Die Neuankömmlinge hatten sich einfach zu integrieren, wenn sie überleben wollten.
Daß sie ihre kulturellen Wurzeln dennoch nicht vergessen haben und trotzdem gut integriert wurden, liegt wohl auch daran, daß die Kulturen der alten und der neuen Heimat ganz gut zusammengepaßt haben. Bei allen Mentalitätsunterschieden bedeutete das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Sitten und Bräuche für keine Seite einen Kulturschock.
AUCH DAS IST EIN PUNKT, der jeden Vergleich mit der heutigen Völkerwanderung absurd erscheinen läßt.
Dieser Kommentar von Manfred Maurer erschien in der Sudetenpost Folge 9 vom 8. Oktober 2015.
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